Beten in Zeiten der Gefahr (3)

Brief Dietrich Bonhoeffers vom 14. April 1943 an seine Eltern Karl und Paula Bonhoeffer



Der erste Brief Dietrich Bonhoeffers aus dem Gefängnis an seine Eltern hat mich sehr bewegt. Die enge und vertraute Verbindung ist spürbar und, wie ich meine, auch ein wenig die Ungeduld, dass er ihnen erst nach zehn Tagen in Haft eine kurze Nachricht senden kann. Der bald 37jährige Doktor der Theologie sorgt sich, dass sich seine Eltern zu sehr um ihn sorgen könnten: „Quälend ist oder wäre nur der Gedanke, dass ihr Euch um mich ängstigt und quält, dass ihr nicht richtig schlaft und esst. Verzeiht, dass ich Euch Sorgen mache …“  

Anstatt im mahnenden Ton ihre ernstzunehmenden Sorgen zu beschwichtigen im Stil von: „Macht euch nur keine Sorgen!“ oder: „Es ist alles nicht so schlimm!“, beschreibt er in seiner ruhigen und sachlichen Art, wie er seinen noch ungewohnten Gefängnisalltag gestaltet will. Er hat sich Bücher aus der Gefängnisbibliothek geholt und plant etwas zu Schreiben. Natürlich hat er seine Bibel und das Gesangbuch bei sich.

Überschwänglich und offen Gefühle zu zeigen, ist in der Familie Bonhoeffers nicht üblich. Man behält „Haltung“. Darüber denkt Dietrich Bonhoeffer später in einem Brief an seinen engsten Freund Eberhard Bethge nach. Er versteht es jedoch seine liebevollen Gedanken an die Eltern in Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse zu kleiden, meist Feiern im Kreis der großen Familie. Erlebnisse, die im „Familiengedächtnis“ bewahrt und sich immer wieder gegenseitig erzählt werden.

Bei den Feiern ist das gemeinsame Singen und Musizieren ein wichtiger Bestandteil und bedeutender Glücksmoment. So lässt Dietrich Bonhoeffer den gemeinsam gesungenen Choral „Lobe den Herrn, den mächtigen König“ anklingen und vergisst nicht zu betonen, wie dieses Lied sie – die ganze Familie – jetzt miteinander verbindet und begleitet. So betont er auch die tröstenden und ermutigenden Worte: „…in wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet.“

In unserer Familie war es nicht üblich miteinander zu singen und zu musizieren. Wir hatten keinen gemeinsamen Liederschatz. Jede/r hatte seine eigenen musikalischen Vorlieben, die mit den des anderen nicht in Einklang zu bringen waren.

Kirchliche Lieder lernte ich erst im Konfirmandenunterricht kennen. Wir mussten einige davon auswendig lernen, was ich im Gegensatz zu den Texten der Lieder der Beatles, nur widerwillig getan habe. Als Junge im Stimmbruch war ich zum Glück nicht gezwungen mitzusingen. Bis heute kann ich nicht besonders gut singen, was ich sehr bedauere.

Ich empfinde es als etwas sehr Schönes mit anderen zusammenzuklingen. Ich beneide alle, die in einem Chor singen können. Oder einfach spontan miteinander. Wahrscheinlich ist es kein „Zufall“, dass „Rudelsingen“ oder das Adventssingen im Fußballstadion so großen Zulauf finden. Da kann man einmal einfach mit anderen drauflossingen, ohne sich irgendwie „genieren“ zu müssen.

Erst im Laufe der Jahre sind mir einige unserer Gesangbuchlieder vertraut und wertvoll geworden. Tatsächlich vor allem die Lieder von Paul Gerhard, die auch Dietrich Bonhoeffer mehrfach erwähnt. Es braucht vielleicht Zeit und Lebenserfahrung um in diese Lieder hineinzuwachsen und wahrscheinlich auch eine Gemeinschaft, die sich durch diese Musik miteinander verbunden und getragen fühlt.

Ein Buch, dass ich schon seit einiger Zeit lesen möchte, spricht von „Lebensliedern“, die zu verschiedenen Zeiten immer wieder wichtig werden: als Tröster, Mutmacher, Freudebringer, … oder  als „Erinnerer“, so wie die Zeile aus dem von Dietrich Bonhoeffer zitierten Lied „…in wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet“, die Familie erinnert, welche Not oder Gefahr sie schon gut überstanden haben. Und wer oder was dabei geholfen hat?

Welches sind eigentlich meine „Lebenslieder“? Mit welchen Liedern kann ich am besten meine Wut oder meinen Frust loswerden, oder mich mal so richtig ausgelassen freuen? Welche Lieder begleiten mich schon lange Jahre oder vielleicht schon fast mein ganzes Leben? Welche diese Lieder verbinden mich mit anderen Menschen und welche höre ich nur ganz für mich allein? Welche Lieder lassen mich spüren, wie lebendig ich bin und wie gerne ich lebe?

Das Lied „Lobe den Herrn“ findet sich im evangelischen Gesangbuch (EG) unter der Nummer 316/317 und im Gotteslob unter Nr. 392. Wer möchte kann sich zahlreiche Fassung auf youtube anhören, oder auch mal wieder selber singen!

Pfarrer Thomas Brandl


Kommentare: 1
  • #1

    Karola Glenk (Dienstag, 02 Februar 2021 22:49)

    Einfach danke! Mir ist das Singen sehr wichtig, so bin ich auch aufgewachsen! Zuhause haben wir an jedem Geburtstag "Lobe den Herrn" gesungen. In meiner jetzigen Familie singen wir auch an jedem Geburtstag, allerdings weltliche Lieder! Aber mir haben es auch die Paul Gerhardt Lieder angetan. Ich bin an so manchem Krankenbett gesessen und habe "Befiehl du deine Wege" gesungen, es hat uns miteinander gut getan! Ja, singen tut gut! Danke!