Beten in Zeiten der Gefahr (6)

Brief Dietrich Bonhoeffers vom 15. Mai 1943 an seine Eltern Karl und Paula Bonhoeffer



Nach sechswöchiger Haft schreibt Dietrich Bonhoeffer diesen Brief an seine Eltern in sichtlich getrübter Stimmung, denn heute ist der Hochzeitstag seines engsten Vertrauten Eberhard Bethge mit Dietrichs Cousine Renate Schleicher: „Wenn ihr diesen Brief bekommt, sind die bewegten Tage der Hochzeitsvorbereitungen und -feier längst verklungen und auch mein bißchen Sehnsucht dabeizusein …“ Dietrich Bonhoeffer versucht gegenüber seinen Eltern die bewährte gefasste Haltung zu bewahren und fährt fort: „… und stattdessen ist dann wieder ruhige Freude und Zuversicht eingekehrt, dass die beiden nun ihr Glück gefunden haben.

Man spürt, wie gerne er mitgefeiert, wie gerne er die Trauung geleitet und die Predigt gehalten hätte: „Dankbar denke ich heute an viele vergangene Jahre und Stunden und freue mich mit ihnen allen. Ich bin nun begierig den Trautext zu hören; … Was für ein herrliches Sommerwetter haben sie! Da werden sie als Morgenchoral wohl „die güldne Sonne“ von P.Gerhardt“ singen!

Gegen Ende seines Briefes seufzt er: „Ja, wenn man erst wieder über all das miteinander reden könnte!"  Seinen Eltern wurde immer noch kein Besuchstermin gewährt. Das Fehlen über den zwischenmenschlichen Austausch setzt ihm so sehr zu, dass er über das geistliche Phänomen der Anfechtung nachdenkt: „Allerdings ist mir nie so deutlich geworden wie hier, was die Bibel und Luther unter „Anfechtung“ verstehen. Ganz ohne jeden erkennbaren physischen und psychischen Grund rüttelt es plötzlich an dem Frieden und der Gelassenheit, die einen trug, und das Herz wird, wie es bei Jeremia sehr bezeichnend heißt, das trotzige und verzagte Ding, das man nicht ergründen kann; man empfindet das wirklich als einen Einbruch von außen, als böse Mächte, die einem das Entscheidende rauben wollen. Aber auch diese Erfahrungen sind wohl gut und nötig, man lernt das menschliche Leben besser verstehen.

Der Begriff der Anfechtung im geistlichen Sinn gehört nicht mehr zu unserem aktiven Wortschatz. Das Internetlexikon Wikipedia kennt nur den gleichlautenden juristischen Fachbegriff. Heute verwendet man zur Beschreibung dieser seelischen Zustände psychologische Einsichten. Aber sie können kaum den Aspekt der Gottesbeziehung, die in eine ernsthafte Krise geraten ist, erfassen.

Martin Luther berichtet zeit seines Lebens von teilweise schweren Anfechtungen, die bei ihm auch körperliche Krankheiten als Begleiterscheinungen hatten. Wahrscheinlich gibt es für diese Erfahrung, die wohl alle glaubenden Menschen ein oder mehrere Male im Laufe ihres Lebens erleiden müssen, keine allgemein anerkannte Definition. Man könnte sie vielleicht als Glaubenszweifel bezeichnen, aber auch damit wäre die „Sache“ nur unzureichend beschrieben.

Bekannt ist, dass Martin Luther, wenn alle „Glaubensstricke“ zu reißen drohten, ein Stück Kreide nahm und auf einen Tisch schrieb: „Ich bin getauft“. Er wollte sich damit vor Augen halten, was er im Innersten gerade nur noch schwer glauben konnte, dass er durch die Taufe immer durch die Liebe Gottes gehalten sein würde, auch wenn er selbst das Vertrauen in diesen lieben Gott verloren hätte.

Dieses „Kunststück“ mag nicht immer gelingen, denn diese Zeiten des Zweifels, der Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit sind schwer auszuhalten. Manchmal ist das Licht am Ende des Tunnels einfach nicht mehr erkennbar.

Worauf können wir in dieser Not zurückgreifen? Was halten wir in unserem „spirituellen Notfallkoffer“ bereit, um darauf zurückgreifen zu können?

Tatsächlich ist mir im Laufe der letzten Jahre mein Taufspruch ein Wegbegleiter geworden, durch den es mir immer wieder gelingt, von Neuem aufzubrechen, oder zurückzufinden, wenn ich von „der rechten Straße (Ps 23) abgekommen bin: „Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst. Ich will dich mit meinen Augen leiten“, dass sind Worte aus dem Psalm 32. Für diese Worte bin ich wirklich unendlich dankbar!

Die andere Medizin verabreicht mir Paul Gerhardt mit seinem Lied „Geh aus, mein Herz und suche Freud“. Der Ort, von dem ich ausgehen sollte, das ist mein trauriges Herz, das gerade im Begriff ist, jegliche Lebensregung fahren zu lassen. Paul Gerhardt schreibt diese Zeilen am Ende des dreissigjährigen Krieges für seine traumatisierten Gemeindeglieder, um sie zu neuem Lebensmut und neuer Lebensfreude zu führen.

Gerade erfahren viele Menschen, wie gut es tut, aus dem Haus zu gehen, allein, oder zu zweien, oder mit dem Hund, und sich aufzumachen, die Traurigkeit, die Isolation, alles Beengende einmal hinter sich zu lassen. Das Gute liegt so nahe, sagt man. Manchmal genau vor unseren Füßen, bzw. vor unserer Haustür!

Natürlich gibt es noch viele andere Möglichkeiten zu verhindern, dass sich trübsinnige Gedanken und Gefühle in unserem Herzen festsetzen. Kramen Sie doch einfach einmal in ihrem „geistlichen Arzneimittelschrank“. Vielleicht haben Sie nur vergessen, was sich dort Hilfreiches finden lässt?

Wenn alles nicht mehr zu helfen vermag, dann vielleicht dieser berühmte Satz Dietrich Bonhoeffers aus einem anderen Brief: „Auch glaube ich, dass keinem Menschen mehr auferlegt wird als er Kraft empfangen kann zu tragen.“ (siehe auch Ps 68,20)

„Geh aus, mein Herz“ findet sich im Evangelischen Gesangbuch Nr. 503. Es lohnt sich alle diese Strophen mit dem inneren Auge mitzugehen und die Bilder auf sich wirken zu lassen.


Kommentare: 1
  • #1

    Karola Glenk (Dienstag, 09 Februar 2021 15:31)

    Einfach danke! Die Pandemie-Müdigkeit macht mir das Herz schwer! Da habe ich aber keine Ahnung, wie ich aus dieser "Anfechtung" herauskommen kann!
    Für mich ist das leider kein Bibelwort, aber ich kann auch sonst nicht sagen, was es sein kann! Diese Pandemie gehört wohl zu unserem Leben. Ich habe gerade im Spiegel ein Interview mit Professorin Brinkmann gelesen, Ostern, darauf warten scheint mir nicht schwer, aber dann ...