Beten in Zeiten der Gefahr (9)

Brief Dietrich Bonhoeffers vom 13. September 1943 an seine Eltern Karl und Paula Bonhoeffer



Die stürmischen Ereignisse in der Welt, die die letzten Tage gebracht haben, fahren einem hier natürlich in alle Glieder …

Die Fußnote der Herausgeber zu dieser Passage seines Briefes hat mich aufmerksam gemacht, was mir im Laufe der Lektüre immer wieder in Vergessenheit zu geraten droht. Dietrich Bonhoeffer konnte in den Sprechzeiten mit seinen Eltern, später dann auch mit seiner Verlobten Maria und anderen Verwandten längst nicht alles sagen, was ihn bewegte, da immer ein Wächter an der Seite saß. Ebenso wenig konnte er in seinen Briefen alles schreiben, denn hier las der Zensor mit, der entweder schwärzte, was Dritte nicht erfahren sollten, und der an höhere Stelle weitergab, was ihm verdächtig erschien.

Hinter dieser allgemeinen Formulierung verbirgt sich offenbar Dietrich Bonhoeffers Wissen um eine entscheidende Wende in diesen Kriegsmonaten. Ich gebe hier die Daten der Fußnote wieder: „10.7. Landung der Alliierten auf Sizilien, 25.7. Sturz Mussolinis, 3.9. Kapitulation Italiens, 9.9. Landung der Allierten in Süditalien („Operation Overlord“).

Welche Gefühle und Überlegungen diese Nachrichten in Dietrich Bonhoeffer auslösten, können wir uns kaum vorstellen. Allenfalls ahnen lässt sich die Spannung in der er sich befand, denn solche Neuigkeiten wollen dringend mit anderen besprochen werden, könnten sie doch weitreichende Folgen nicht nur für das eigene Leben haben! Aber der Gefangene in der Zelle ist zum Schweigen verdammt, da jedes Wort ein tödliches Risiko in sich bergen könnte. Jedes einzelne Wort seiner Briefe wurde von Dietrich Bonhoeffer sorgfältig bedacht.

Doch auch ohne Zensur und drohender Lebensgefahr war Dietrich Bonhoeffer ein sorgfältiger Briefeschreiber, ebenso wie er sich umsichtig um die Wortwahl im Gespräch mit einem Gegenüber bemühte. Ein unbedachtes Wort kam ihm wohl selten über die Lippen. Über theologische und politische Gegner hörte man von ihm vielleicht „herablassende Töne“, aber nie eine verächtlichmachende oder verletzende Wortwahl. Mir ist zumindest nichts Entsprechendes bekannt. Auch wusste Dietrich Bonhoeffer, wann es eine „Zeit zum Reden und eine Zeit zum Schweigen (Prediger 3,7) gibt“.

In der Einsamkeit in seiner Zelle war Dietrich Bonhoeffer in seiner Kommunikation mit anderen zusätzlich extrem eingeschränkt. Mir stehen in diesen Tagen vielfältige Medien zur Verfügung um mich mit meiner Familie, Freunden und Bekannten und auch beruflich auszutauschen und in engerem Kontakt zu bleiben.

Da wäre das altbewährte Telefon für das mündliche Gespräch, oder das Smartphone und der Computer mit der Möglichkeit e-mails zu senden, oder über WhatsApp, Facebook, Twitter, Instagram, Tik Tok, über den engeren Familien- und Freundeskreis hinaus eigentlich „alle Welt“ über mein Ergehen zu informieren, ob es jemand wissen will oder nicht. Per skype oder zoom oder ähnlichen Anbietern kann ich mich auch mit Kolleg*innen und den Menschen aus meiner Gemeinde prima verständigen und den Mangel an persönlicher Begegnung wenigstens zum Teil ausgleichen.

Über den Bildschirm können wir uns sogar „sehen“. Wenngleich mir gerade dann schmerzlich bewusstwird, was durch die mangelnde „leibhaftige“ und räumliche Begegnung verloren geht. Kein noch so perfektes Kommunikationsmedium kann die persönliche Anwesenheit eines anderen Menschen dauerhaft ersetzen.

Das muss auch Dietrich Bonhoeffer spüren. Als seinen Angehörigen nach einiger Zeit mehr Besuchsstunden zugestanden wurden, empfand er es einerseits als eine Erleichterung und große Freude, seine Eltern, seine Verlobte und schließlich auch andere Verwandte zu sehen, andererseits wünschte er sich nach den kurzen Treffen unter Beobachtung sehnlichst „nach Hause“, zu den Seinen, zurück in ein „normales Leben“. So schreibt er einmal: „Es vergeht doch kaum eine Stunde, in der nicht die Gedanken von den Büchern zu Euch allen wandern und ein Wiedersehen in Freiheit muss unvorstellbar schön sein.

Ein Brief seiner Schwester Susanne macht ihm bewusst, „dass man sich in normalen Zeiten oft zu wenig Mühe gibt, zusammenzukommen. Gerade weil man es nicht für nötig hält die selbstverständlichen geschwisterlichen Beziehungen eigens zu `pflegen´, kommt doch manches zu kurz; und das ist schade.

Tatsächlich hat mir diese Zeit des zwangsstillgelegten Aktivismus die Gelegenheit gegeben an ruhigen Nachmittagen und Abenden „brachliegende“ Beziehungen familiärer und freundschaftlicher Art wieder aufzunehmen und neu zu pflegen!

Vielleicht lässt uns gerade die zwangsweise auferlegte Trennung wieder näherkommen und auf eine neue Weise erfahren, wie wir füreinander da sein können, was wir einander bedeuten?

Wer mehr über das Familienleben der Bonhoeffers aus der Sicht der jüngsten Schwester Susanne erfahren möchte: Aus dem Leben der Familie Bonhoeffer. Die Aufzeichnungen von Dietrich Bonhoeffers jüngster Schwester Susanne Dreß (Gütersloher Verlagshaus)


Kommentare: 2
  • #2

    Karola Glenk (Donnerstag, 25 Februar 2021 11:29)

    Trotz aller technischen Möglichkeiten ist es doch jetzt sehr vergleichbar für mich! Ich wünschte mir, dass meine Kirche das mehr beklagen würde! Mir fehlt der wirkliche Kontakt, der durch keine Technik zu ersetzen ist! Bei einer Tasse Kaffee beieinander zu sitzen und sich auszutauschen, ist anders! Auch die Pausen, die es da gibt, sind nicht zu ersetzen. Ich sehe, wie mein Gegenüber da ist, ganz und gar! Das ist nicht zu ersetzen!

  • #1

    Sofie Ostekamp (Dienstag, 16 Februar 2021 18:35)

    Mit großer Interesse verfolge ich die Auszüge aus den Briefen und die Betrachtung. Ich bewundere solche Menschen wie Dietrich Bonhoeffer. Ich frage mich manchmal, wie ich diese Zeit überstanden hätte (Ausgang ungewiß). Bei vielen Betrachtungen kann ich Begebenheiten in einem Leben wieder finden. Es tut gut zu wissen, als Christ und Mensch einen Halt zu haben. Ganz herzlichen Dank.