Beten in Zeiten der Gefahr (10)

Brief Dietrich Bonhoeffers vom 13. Oktober 1943 an seine Eltern Karl und Paula Bonhoeffer


Immer wieder gerate ich bei der Lektüre der Briefe Dietrich Bonhoeffers in Versuchung nach den „klassischen Stellen“ Ausschau zu halten, nach den bedeutenden Sätzen, die immer wieder zitiert werden, nach den tiefen, viele Menschen weltweit bewegenden Einsichten und oft trostreichen Gedanken.

Dabei interessiert mich doch eher wie er seinen „Alltag“ im Gefängnis gestaltet und bewältigt hat. Dietrich Bonhoeffer beobachtet sich selbst dabei sehr genau. Er schreibt im August an seine Eltern: „Das Unwahrscheinliche meines Aufenthalts ist doch immer noch nicht überwunden bei aller Gewöhnung an das Äußere. Ich finde es ganz interessant, diesen allmählichen Prozess der Gewöhnung und Anpassung an sich selbst zu beobachten. Als ich vor acht Tagen zum Essen Messer und Gabel bekam, …, schien mir das fast überflüssig, so selbstverständlich war es mir geworden, mit dem Löffel das Brot zu streichen etc. Andererseits glaube ich, dass man sich an etwas, was man als sinnwidrig empfindet, also z.B. den Zustand des Gefangenenseins als solchen, überhaupt nicht oder doch nur sehr schwer gewöhnt. Da bedarf es einen bewußten Aktes um sich zurechtzufinden.

Mir scheint - abgesehen vom Gebrauch von Messer, Gabel und Löffel - diese Beobachtung lässt sich gut auf den „Alltag“ im Lockdown übertragen. An manches gewöhnt man sich recht schnell und relativ leicht, an den grundsätzlichen Zustand, den ich als eine Art des Eingeschlossenseins empfinde, jedoch – zum Glück – gar nicht. Und das, obwohl ich eher zu einem Stubenhockerdasein neige und manches, was andere, zum Beispiel meine Töchter, schmerzlich vermissen, das Ausgehen und sich mit anderen treffen, mir fast überhaupt nicht fehlt.

Anderes, scheinbar Nebensächliches, wird mir in diesen Tagen plötzlich viel wichtiger, Dinge oder Ereignisse, die ich „vorher“ meist nur flüchtig beachtet hatte. Von Dietrich Bonhoeffer kann man richtiggehend lernen, solche „Kleinigkeiten“ zu „zelebrieren“, sie zu genießen, die flüchtigen Augenblicke auszudehnen und ihnen einen viel größeren Raum als sonst zuzugestehen. Dieser Briefabschnitt hat mich in dieser Hinsicht besonders berührt und beeindruckt:

Vor mir steht der bunte Dahlienstrauß, den Ihr mir gestern gebracht habt, und erinnert mich an die schöne Stunde, die ich mit euch haben konnte, und an den Garten und überhaupt, wie schön die Welt in diesen Herbsttagen sein kann. Ein Vers von Storm, den ich dieser Tage kennenlernte, gehört so ungefähr zu dieser Stimmung und geht mir immer wieder durch den Kopf: „Und geht es draußen noch so toll / unchristlich oder christlich / ist doch die Welt, die schöne Welt / so gänzlich unverwüstlich“. Um das zu wissen, genügen sogar ein paar bunte Herbstblumen, ein Blick aus dem Zellenfenster und eine halbe Stunde „Bewegung“ auf dem Gefängnishof, auf dem ja ein paar schöne Kastanien und Linden stehen.

Manche Dinge scheinen sich zu verwandeln, der Geschmack von Tomaten, kann einen unvermutet eintreten lassen in eine Art Erinnerungsraum: „Eben habe ich zum Mittag ein paar von den wunderbaren Gartentomaten gegessen und dabei an die Arbeit gedacht, die Ihr beim Ziehen damit gehabt habt. Aber sie sind wirklich ganz herrlich geworden.“ Und dann denkt Dietrich Bonhoeffer an manche der Aufenthalte in den Sommerzeiten im elterlichen Ferienhaus in Friedrichsbrunn: „In diesem Jahr sind es 30 Jahre, dass Ihr es gekauft habt! Ich hoffe noch sehr auf ein paar schöne Tage dort mit Euch, …

Wir, ich, meine Frau und unsere Töchter, haben uns an diesem Wochenende ausgiebig an unsere Urlaube erinnert. An die ersten, als die Kinder noch ganz klein waren, bis hin zu den Fahrten, wo die gerade erwachsen gewordenen Töchter doch noch einmal mit ihren Eltern – zu unserer Überraschung - mitgefahren sind! Das waren schöne beinahe unbeschwerte Stunden, allerdings auch in der bangen Hoffnung, ob in diesem Jahr solch eine Reise wieder möglich werden würde!

Paula Bonhoeffer versorgt ihren Sohn mit den Nachrichten von der Familie. Sie berichtet ihm von seinen Geschwistern, von den Enkeln, von der näheren und weiteren Verwandtschaft, von der Hochzeit und der Taufe, von Krankheiten und auch von den Todesfällen, die zum Glück, nicht immer eine Folge des schrecklichen Krieges gewesen sind. Und natürlich werden die Bombennächte nicht ausgespart. Knapp, aber anschaulich schildert Paula Bonhoeffer auch immer wieder den Garten, wie er sich jahreszeitlich verändert, was gerade gesät wird, oder auch geerntet: „Im Garten ist zum ersten Mal zu Pfingsten wirklich eine Pfingstrose im Aufblühen!“  

Vielleicht, so denke ich mir, stärkt sie dadurch -unbewusst? -  auch die Widerstandskräfte ihres eingesperrten Sohnes, indem sie in ihm die Sehnsucht nach Hause zu zurückkommen zu wollen, in ihm wachhält?

Nun ist Pfingsten auch vorüber gegangen. – Wie sehr hast Du uns allen gefehlt. Am Pfingstmontag hatten wir einen ganz stillen Nachmittag im Garten. … Du liegst nicht nur Deinem Vater und Mutter und Braut sehr am Herzen, sondern all Deinen Geschwistern und ihren Familien. … Im Garten steht alles sehr gut, aber es macht auch viel Arbeit. Ich bringe Dir nun Erdbeeren aus dem Garten!“, so schreibt Dietrich Bonhoeffers Mutter Mitte Juni. In der bangen Hoffnung, „es muss sich bald alles klären, und Du wirst bald wieder da sein.

Eine virtuelle Reise zum „Bonhoeffer-Haus“ in Friedrichsbrunn ist auch im Lockdown möglich:
http://www.bonhoeffer-haus-friedrichsbrunn.de/index.html


Kommentare: 1
  • #1

    Gabi (Samstag, 20 Februar 2021 21:47)

    die Sehnsucht wachhalten... das ist wie bei Frederick der Maus :-)