Beten in Zeiten der Gefahr (12)

Brief Dietrich Bonhoeffers vom 18. November 1943 an seinen Freund Eberhard Bethge



Die Briefe an Eberhard Bethge unterscheiden sich von denen, die Dietrich Bonhoeffer bisher an die Eltern, an Maria, und an andere Familienmitglieder geschrieben hat. Diese Briefe werden von den Unteroffizieren Knobloch und Linke vom Wachpersonal unter Lebensgefahr an der Zensur vorbei „nach draußen“ geschmuggelt. Dietrich Bonhoeffer hatte sich mit ihnen, wie auch mit einigen Mitgefangenen, angefreundet. Mit dem Wärter Knobloch war 1944 sogar ein Fluchtversuch geplant, der aber nicht mehr durchgeführt werden konnte.

Mit Eberhard Bethge verband Dietrich Bonhoeffer zehn Jahre „gemeinsamen Lebens“. So lautet auch der Titel eines seiner Bücher aus dieser Zeit. Dietrich Bonhoeffer war zunächst Eberhard Bethges „Ausbilder“ in der Zeit der illegalen Sammelvikariate der sogenannten Bekennenden Kirche. Mit der Zeit wurde Eberhard Bethge zum engsten Mitarbeiter, Freund und Vertrauten Dietrich Bonhoeffers. Durch die Heirat mit Renate Schleicher 1944, einer Cousine Dietrich Bonhoeffers, von der in einigen Briefen die Rede ist, wurde er sogar zum Mitglied der großen Familiengemeinschaft. Als der Briefwechsel begann, bereitete sich Eberhard Bethge auf seinen Einsatz als Soldat in Italien vor. Seit acht Monaten hatten sie keine Möglichkeit sich zu begegnen und auszutauschen.

Inzwischen waren die Verhöre Dietrich Bonhoeffers abschlossen und eine Anklage formuliert. Seine Mitwirkung an der „Verschwörung“ gegen Hitler war nicht entdeckt worden. Der Prozesstermin wurde auf Dezember festgelegt, verzögerte sich aber aufgrund der Erkrankung des Mitangeklagten Hans von Dohnanyi. Dietrich Bonhoeffer machte sich und seiner Familie weiterhin Hoffnungen auf einen Freispruch.


Über fünf Tage verteilt, schreibt Dietrich Bonhoeffer einen viele Seiten langen Brief an Eberhard Bethge. Man spürt, wie ihm die bisherige gemeinsame Aussprache gefehlt hat: „Es wäre ja so unendlich viel zu berichten, was ich Euch beiden (Eberhard und Renate) gern erzählen wollte; aber heute kann es nur das Wesentlichste sein und so gilt dieser Brief Dir allein. … Und nun lass Dir also einiges berichten, was Du über mich wissen sollst.

Das gedrängte Schreiben nimmt fast die Form eines Beichtgespräches an: „Und nun sei mir heute – nach so langen Monaten ohne Gottesdienst, Beichte und Abendmahl und ohne consolatio fratrum („Trost der Brüder“, 1.Thess 5,14) – wieder einmal, wie Du schon oft gewesen bist, mein Pfarrer und höre mich an.

Das klingt für uns Heutige mehr als ungewohnt, vor allem für protestantische Ohren. Wenn ich im Konfirmandenunterricht auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit der katholischen Kirche zur Sprache kam, wussten die Jungen und Mädchen meist nur eins und das riefen sie beinahe erleichtert aus: Wir müssen nicht zur Beichte!

Ich habe mich schon immer gefragt, ob diese „bei uns“ niemals eingeübte Fähigkeit einem anderen gegenüber auszusprechen, was einem belastet, nicht ein großer, ja schwerwiegender, Mangel in unserer Kirche ist. Ich gestehe, dass ich selbst aber die Gelegenheit zu einer persönlichen Beichte noch nie wahrgenommen habe.

Einmal auszusprechen, was ich vielleicht sogar mir selbst gegenüber kaum auszusprechen wage. Und dann wäre da (endlich) jemand, der oder die mir ganz aufmerksam und ungeteilt zuhört, der /die mich nicht verurteilt, sondern einfach da ist. Und wenn ich es brauche, auch ein Gebet mit mir spricht, die Hand auflegt und mich segnend, das Schwere und Belastende von mir nimmt und los-spricht.

Dietrich Bonhoeffer hat die Beichte mit den auszubildenden (illegalen) Vikaren ganz praktisch eingeübt und sie damit erst einmal in schwere Verlegenheit gebracht. Vor allem dann, wenn er selbst mit einem Beichtanliegen zu seinen „Brüdern“, wie sie sich nannten, kam! Anfangs waren sie richtig schockiert.

Doch gerade in dieser Zeit der schweren Angriffe gegen kirchliche Einrichtungen, die nicht mit dem nationalsozialistischen Staat konform gehen wollten, hatten einige der Absolventen die Erfahrung der Beichte als eine Stärkung und Ermutigung erleben dürfen.

Mit diesem Hintergrund klingen die sehr persönlichen Worte, die Dietrich Bonhoeffer zu Beginn des Briefes an seinen Freund richtet, weniger „peinlich“ oder „übersensibel“, wie man das heute wahrscheinlich bezeichnen würde.

Dann empfand ich es als Versäumnis, den lange gehegten Wunsch, mit Dir wieder einmal zum Abendmahl zu gehen, nicht durchgeführt zu haben. Ich wollte Dir dabei immer einmal sagen, wie dankbar ich Dir war, dass Du meine tyrannische und selbstsüchtige Art, unter der Du oft zu leiden hattest und alles, womit ich Dir das Leben manchmal schwer gemacht habe, mit so viel Geduld und Nachsicht getragen hast. Ich bitte Dich dafür um Verzeihung und weiß doch, dass wir – wenn auch nicht leiblich – so doch spiritualiter der Gabe der Beichte, Absolution und Kommunion teilhaftig geworden sind und darüber ganz froh und ruhig sein dürfen: Aber sagen wollte ich es einmal.


Zum Stichwort „Bekennende Kirche“: https://de.wikipedia.org/wiki/Bekennende_Kirche

Dietrich Bonhoeffer schreibt u.a. über die Beichte in seinem schmalen Büchlein „Gemeinsames Leben“ (Brunnen Verlag)


Kommentare: 1
  • #1

    Karola Glenk (Dienstag, 02 März 2021 17:06)

    Leider habe ich selbst auch noch nie diese persönliche Beichte erlebt. Aber so, wie ich das bei Bonhoeffer lese, stelle ich mir das sehr intensiv vor! Mir fehlt auch wirklich das Abendmahl. Durch die Pandemie war ich über ein Jahr nicht mehr beim Abendmahl!
    Am Sonntag vertrete ich einen Kollegen in St. Lukas! Ich hätte dort Abendmahl halten können, aber mit lauter kleinen Gläschen, für mich unvorstellbar! Ich brauche die Gemeinschaft und so lese ich auch Bonhoeffer!
    Die tiefe Gemeinschaft im Abendmahl - für mich auch ausgedrückt durch den einen Kelch - das fehlt mir! Ich brauche auch die anderen! Ihre Zuversicht, ihren Mut, ihren Glauben ...