Beten in Zeiten der Gefahr (13)

Brief Dietrich Bonhoeffers vom 18. November 1943 an seinen Freund Eberhard Bethge



Vom Beten war bisher – auch in Dietrich Bonhoeffers Briefen - kaum ausdrücklich die Rede. Vielleicht deswegen, weil es sich von selber versteht und praktiziert wird, wie das Essen und Trinken, wie Zähneputzen und Duschen?  Oder weil es sich beim Beten um etwas sehr Persönliches, Intimes handelt, über das man sich, zumindest brieflich, nicht so leicht mitteilt?

Für viele Menschen ist „Beten“ einfach kein Thema mehr. Andere können mit niemanden darüber sprechen. „Beten-können“ versteht sich nicht von selbst, auch nicht bei „großen“ Theologen. Das Ringen um das „Beten-können“, um das „Wortefinden“ oder „Hören-können“ nimmt bereits in den biblischen Psalmen überraschend breiten Raum ein.

Schon der Apostel Paulus klagt: „Wir wissen ja nicht einmal, was wir beten. Und wir wissen auch nicht, wie wir unser Gebet in angemessener Weise vor Gott bringen. Doch der Geist selbst tritt mit Flehen und Seufzen für uns ein. Dies geschieht in einer Weise, die nicht in Worte zu fassen ist. (Röm 8,26; Basisbibel)

Auch die Jünger bedrängen Jesus: „Herr, lehre uns beten!“  Aber gerade mit den gelernten Gebeten oder den öffentlichen im Gottesdienst haben viele Menschen ihre Schwierigkeiten. Ich als „berufsmäßiger“ Beter allerdings auch!

Auf dem Klappentext eines neueren Buches mit dem, für manche sicherlich, befreienden Titel „Ich muss nicht beten können“, gesteht der Autor Ralf Hüning: „Ich kann nicht beten. Es hat sehr lange gedauert, bis ich zu dieser Erkenntnis gekommen bin. Und: Es war eine Befreiung, als ich das ehrlich sagen konnte. Als ich kapitulierte. Noch größer war die Befreiung, als ich endlich begriff: Ich brauche es gar nicht zu können! Seitdem habe ich große Freude am Gebet. Ich hörte auf, Gebete zu machen, und fing an zu beten.

Auch Dietrich Bonhoeffer räumt in seinem Büchlein „Das Gebetbuch der Bibel. Eine Einführung in die Psalmen“ ein: „Das kann eine große Qual werden, mit Gott reden wollen und es nicht können, vor Gott stumm sein müssen, spüren, dass alles Rufen im eigenen Ich verhallt, dass Herz und Mund eine verkehrte Sprache sprechen, die Gott nicht hören will. In solcher Not suchen wir Menschen, die uns helfen können, die etwas vom Beten wissen.

Das schmale Buch hat mir, als ich es junger Erwachsener gelesen habe, einerseits geholfen, die „Gebetssprache“ der Psalmen besser zu verstehen, andererseits hat es durch seine Strenge, deren zeitgeschichtliche Hintergründe ich nur unzureichend verstanden hatte, meine Scheu, ja Angst, vor dem vermeintlich „falschen“ Beten auch gehörig erhöht. Ich wollte ja gerade „richtig“ beten lernen!

Der „Rückgriff“ auf den Psalter, das Gebetbuch der Bibel war eine biblisch gegründete Reaktion Dietrich Bonhoeffers auf die, durch die nationalsozialistische Propaganda verhunzte, Gebets- und Predigtsprache der sogenannten Deutschen Christen Diese scheuten sich nicht in der Kirche neben dem Kruzifix die Hakenkreuzfahne aufzuziehen und Jesus als blonden Arier darzustellen!

Dagegen stellt Dietrich Bonhoeffer die Psalmen, die auch Jesu Gebete gewesen sind. Vor diesem Hintergrund kann Dietrich Bonhoeffer dann folgern: „Nur in Jesus können wir beten, mit ihm werden wir auch erhört“. Diese „kleinen“ Worte, wie das „nur“ in diesem Satz haben mir dann aber das Beten zeitweise sehr schwer gemacht. Ich dachte „nur“ so darf ich beten!

In den Briefen an Eberhard Bethge bekommt Dietrich Bonhoeffers Stimme einen ganz anderen, „sanften“, ja liebevollen Klang: „Seit Du einmal vor vielen Jahren für mich und mit mir gebetet hast – ich vergesse das nie – glaube ich, dass Du für mich bitten kannst, wie kein anderer. Darum wollte ich Dich bitten und auch ich tue es täglich für Dich.

Das dürfte wohl einer der „privatesten“ Sätze sein, die wir von Dietrich Bonhoeffer lesen können. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass diese Worte nicht für unsere Lektüre bestimmt gewesen sind! Sie sind Ausdruck eines besonderen gegenseitigen Vertrauens, dass die beiden einander gewähren.

Eberhard Bethge gegenüber öffnet Dietrich Bonhoeffer seine verschlossene, von anderen manchmal als arrogant empfundene Haltung. Dietrich Bonhoeffer empfindet dieses Vertrauen zutiefst dankbar als ein Geschenk, aber auch als beständige Verpflichtung für den anderen bei Gott einzutreten. Diejenigen, für die Dietrich Bonhoeffer betet, dürfen sich darauf verlassen, dass er Aufgabe, treu und verbindlich, nie unterlässt.

So beschließt Dietrich Bonhoeffer den ersten Brief an Eberhard Bethge: „Aber lass uns einander versprechen, treu in der Fürbitte füreinander zu bleiben. Ich werde für Dich um Kraft, Gesundheit, Geduld und Bewahrung vor Konflikten und Versuchungen bitten. Bitte du für mich um das gleiche. Und wenn es beschlossen sein sollte, dass wir uns nicht wieder sehen, dann lass uns bis zuletzt in Dankbarkeit und Vergebung aneinander denken, und Gott möge es uns dann schenken, dass wir einst füreinander bittend und miteinander lobend und dankend vor seinem Thron stehen. Gott behüte Dich und Renate und uns alle! In Treue Dein dankbarer Dietrich.


Dietrich Bonhoeffer: „Das Gebetbuch der Bibel“ (zur Zeit nur als Teil der Dietrich Bonhoeffer Werke DBW 5 (Gütersloher Verlagshaus) erhältlich, oder antiquarisch über www.zvab.de.

Ralf Huning: „Ich muss nicht beten können“ (Echter Verlag)


Kommentare: 1
  • #1

    S. Osterkamp (Donnerstag, 04 März 2021 11:45)

    Beten heißt für mich Zwiesprache mit Gott. In welcher Situation ich mich befinde und so die Auswahl der Worte sind, ist m. E. nicht von Bedeutung. Ein Seufzer oder ein Danke in der Natur kommt bei Gott an. Wichtig ist, dass wir Kontakt halten und da tun wir uns Menschen vielleicht manchmal schwer.