Beten in Zeiten der Gefahr (15)

Brief Dietrich Bonhoeffers vom 21. November 1943 an seinen Freund Eberhard Bethge



In dem Abschnitt des langen Briefes den Dietrich Bonhoeffer, wie er extra vermerkt, am Totensonntag 1943 geschrieben hat, schneidet er weiterhin beinahe atemlos ein Thema nach dem anderen an. Der Gesprächsbedarf ist in der Einsamkeit der Gefängniszelle offensichtlich aufs Äußerste angewachsen.

Innerhalb einer halben Seite, kommt er auf eine Trauerfeier zu sprechen; erinnert Dietrich Bonhoeffer sich an das gemeinsame Musizieren mit Eberhard Bethge in der Adventszeit, in der er sein eigenes Warten in der Gefängniszelle wiedererkennt; macht er sich Gedanken zur Wohltat der Tischgemeinschaft, die er sehr vermisst, auch „weil sie eine Realität des Reiches Gottes ist“; bis er zu einer Bemerkung über seine tägliche Praxis von Luthers Morgen- und Abendgebet ankommt.

Spätestens hier muss ich schmunzeln, denn hier scheint mir Dietrich Bonhoeffer sogar gegenüber Eberhard Bethge ein bißchen „gschamig“ zu sein, wie man auf gut bayrisch sagt: „Ich habe die Anweisung Luthers sich `mit dem Kreuz zu segnen´ bei Morgen- und Abendgebet, ganz von selbst als eine Hilfe empfunden. Es liegt darin etwas Objektives, nach dem man hier besonderes Verlangen hat.

Da er offenbar befürchtet, sein Freund könnte diese Anmerkung missverstehen, beschwichtigt er sogleich: „Erschrick nicht! Ich komme bestimmt nicht als „homo religiosus (`religiöser Mensch´)“ von hier heraus! ganz im Gegenteil, mein Misstrauen und meine Angst vor der „Religiosität“ sind hier noch größer geworden als je. Dass die Israeliten den Namen Gottes nie aussprechen, gibt mir immer wieder zu denken und ich verstehe es immer besser.

Wann habe ich das erste Mal von Luthers Abend- und Morgensegen gehört, bzw. ihn bewusst wahrgenommen und dann zum ersten Mal gebetet? Ich kann mich nicht erinnern, aber sicherlich nicht vor meinem Theologiestudium! Dort aber nur als historisches Faktum, nicht als etwas, das mein Leben und meine Frömmigkeit betreffen könnte.

Der Morgensegen beginnt mit der Anweisung Luthers: „Des Morgens, wenn du aufstehst, kannst du dich segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und sagen: `Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist! Amen“. Der gesamte Gebetstext findet sich im Evangelischen Gesangbuch EG 841 und EG 843 der Abendsegen, dazu jeweils das Morgen- und Abendgebet Dietrich Bonhoeffers aus dem Gefängnis.

Gebetet habe ich den Abend- und Morgensegen wahrscheinlich erst als ich Pfarrer in Münchsteinach gewesen bin und auch nicht an allen Tagen und zu allen Zeiten. Dort steht eine wunderschöne romanische Klosterkirche aus dem 12. Jahrhundert, in der seit 1525 lutherische Gottesdienste gefeiert werden. Da die Mönche, die dort bis zu ihrer Vertreibung, nach der benediktinischen Regel lebten, lernte ich durch sie das klösterliche Stundengebet kennen und schätzen.

Mit Erstaunen stellte ich fest, dass sich „Reste“ des Stundengebets auch in unserem evangelischen Gesangbuch (EG 727 bis EG 730) befinden. Ich erinnerte mich, dass Dietrich Bonhoeffer mit seinen Vikaren dieses Stundengebet täglich pflegte und als gemeinschaftliche Praxis wiederzubeleben versuchte. Das Ergebnis dieser Erfahrungen findet Niederschlag, in dem schon erwähnten Büchlein „Gemeinsames Leben“.

Das Dietrich Bonhoeffer sich bei dem Geständnis, sich zu bekreuzigen, geniert, kann ich nachvollziehen. Auch mir ist es zunächst schwergefallen. Ich musste vor mir und anderen betonen, dass sich Luther zeitlebens bekreuzigt hat, so wie er auch beim Gebet kniete oder sich ausgestreckt zu Boden warf.

Erst die Zeit im überwiegend katholischen Kelheim hat mich gelassener werden lassen, so dass das Kreuzzeichen inzwischen selbstverständlich zu meinem persönlichen Gebet gehört. Es ist für mich einerseits ein Zeichen der Ehrfurcht vor Gott, andererseits eine Art Merkzeichen für die Gegenwart Gottes in meinem Leben, auch wenn ich davon oft nichts verspüren und manchmal nicht daran glauben mag. Diese einfache Gebärde führt mich in eine Art Konzentration und erleichtert mir das Stillwerden.

Heute dürfte das Sich-Bekreuzigen kein Unterscheidungs- oder sogar Trennungszeichen zwischen katholischen und evangelischen Christen mehr sein. Erinnert es doch zu allererst an unsere Taufe im Namen des Dreieinigen Gottes, die uns unzweifelhaft und untrennbar auf alle Zeiten miteinander verbindet!

Inzwischen wird uns immer klarer, dass wir, nicht nur beim Gebet, Körper, Geist und Seele nicht voneinander trennen können. Wir stehen, knien oder liegen vor Gott als ganzer Mensch. Frère Roger Schutz, der reformierte Gründer und Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé berichtet: „Ich wüsste nicht, wie ich beten sollte ohne die Einbeziehung des Leibes. Es gibt Perioden, wo ich den Eindruck habe, ich bete mehr mit dem Leib als mit dem Geist. Ein Gebet auf dem bloßen Boden: Niederknien, sich niederwerfen, den Ort betrachten, wo die Eucharistie gefeiert wird, die beruhigende Stille ausnutzen und selbst die Geräusche, die aus dem Dorf heraufdringen. Der Leib ist da, ganz gegenwärtig, um zu lauschen, zu begreifen, zu lieben. Wie lächerlich nicht mit ihm rechnen zu wollen.


Zum Weiterlesen: Anselm Grün / Michael Reepen „Gebetsgebärden“ (Vier-Türme-Verlag)


Kommentare: 3
  • #3

    Karola Glenk (Mittwoch, 10 März 2021 15:04)

    Ostern hat für mich nichts mit Bekreuzigen zu tun, lieber Thomas! Ich würde die Arme nach oben werfen, irgendeine Form der Freude!
    Ich gebe zu, dass ich diese Form gerade in den charismatischen Gottesdiensten schwierig finde, ich bin keine Jubelchristin!
    Da bin ich vielleicht doch eine Protestantin, die mit all diesen Formen nichts anfangen kann - sorry! Ich kann das gut bei Dir und bei Bonhoeffer stehen lassen, solange Ihr mir das nicht aufzwingt! In diesem Sinn!

  • #2

    Thomas Brandl (Dienstag, 09 März 2021 19:19)

    Liebe Karola! Das ist ein interessanter Gedanke, dass das Kreuz durch Ostern überwunden ist. Könntest du "Ostern", ich denke du meinst damit die Auferstehung, auch mit einer Geste zum Ausdruck bringen? Vielleicht ist die Wendung "sich bekreuzigen" auch missverständlich, denn man tut das ja im Namen des Dreieinigen Gottes. Die Geste bezieht sich zudem auf die Taufe, vor allem, wenn man seine Finger dazu mit Weihwasser benetzt? Und legt damit auch den Bezug zu einer neuen Geburt im Heiligen Geist nahe!

  • #1

    Karola Glenk (Dienstag, 09 März 2021 14:57)

    Mir fällt es schwer, mich zu bekreuzigen! Da merke ich, das mir diese Tradition fehlt. Ich erlebe in Andachten und Gottesdiensten immer mehr Menschen, die das tun. Aber ich nicht!
    Ich kann es gar nicht erklären, warum eigentlich nicht. Aber ich tue es nicht.
    Bei Bonhoeffer kann ich es sogar sehr gut verstehen. Beim Meditieren versuche ich ja auch, mit dem ganzen Leib in Verbindung zu sein! Aber auch hier bekreuzige ich mich nicht! Ich sitze und suche Verbindung - aber nicht über das Kreuz. Vielleicht ist es das Kreuz, das für mich seit Ostern überwunden ist ...