Beten in Zeiten der Gefahr (17)

Brief Dietrich Bonhoeffers vom 28. November 1943 an seinen Freund Eberhard Bethge



Während wir uns in der Passions- und Fastenzeit auf Ostern zubewegen, nähert sich Dietrich Bonhoeffer in seinen Briefen langsam an Weihnachten.  

Ich kenne einige Menschen, die freuen sich im Herbst schon auf die Adventszeit. Mit Hilfe des Kalenders „Der andere Advent“ gelingt es ihnen diese Kirchenjahreszeit“ als eine besinnliche, nachdenkliche und stille Zeit zu erleben. Tag für Tag, Kalenderblatt für Kalenderblatt bewegen sie sich offenen Herzens auf die angekündigte weihnachtliche Freude zu. „Euch ist heute ein Kind geboren …“.  

Andere Menschen versinken bis zum Hals im Einkaufs-, Berufs- und Beziehungsstress. Sie sind froh, wenn sie diese angespannten Tage, deren Erwartungen sich nie erfüllen, endlich hinter sich haben und ein wenig aufatmen können.

Einen ganz anderen Advent muss Dietrich Bonhoeffer 1943 im Gefängnis in Tegel erleben. Einen Advent, wie ich ihn nie erleben möchte! Seinem Freund Eberhard Bethe beschreibt er diesen ersten Adventssonntag noch am selben Abend: „Der 1. Advent. Es begann mit einer ruhigen Nacht. Gestern Abend im Bett habe ich zum ersten Mal „unsere“ Adventslieder aufgeschlagen. Kaum eines kann ich vor mich hinsummen, ohne an Finkenwalde, Schlönwitz, Sigurdshof erinnert zu werden. Heute früh hielt ich meine Sonntagsandacht, hängte den Adventskrank an einen Nagel und band das Krippenbild hinein.

In diesen Tagen hat es mehrere Fliegerangriffe gegeben. Dietrich Bonhoeffer hilft – bei Treffern am Gefängnistrakt – den Krankenpflegern bei der Versorgung der Verwundeten. Er schildert seinem Freund die Zerstörungen, die eine Luftmine verursacht hatte und die Schreie der Gefangenen, die in ihrer Zelle eingeschlossen in Todesangst nach Hilfe riefen.

„Ich muss dir persönlich übrigens noch folgendes sagen: die schweren Luftangriffe, besonders der letzte, bei dem ich, als durch die Luftmine im Sanitätsraum die Fenster herausstürzten und Flaschen und Medikamente aus Schränken und Regalen fielen, völlig im Dunkeln auf dem Fußboden lag und nicht viel Hoffnung auf einen guten Ausgang hatte, führen mich ganz elementar zum Gebet und zur Bibel zurück.

Dietrich Bonhoeffer verfasst an diesem Adventssonntag, nach einer Besprechung im Sanitätsraum einen Bericht über die Folgen dieses nächtlichen Angriffes, in dem er Vorschläge unterbreitet, wie bei zukünftigen Angriffen den Verwundeten schnellere und bessere Hilfe geleistet werden könnte.

In diesen Tagen schreibt Dietrich Bonhoeffer Gebete für seine Mitgefangenen. Viele von ihnen sind heute in Gebetssammlungen zu finden, einige in unserem Gesangbuch, ohne dass dort etwas über den genauen Hintergrund ihrer Entstehung zu erfahren ist.

Ich zitiere ein Gebet, dass weniger bekannt ist. Ich vermute, dass sich in diesen Worten einige, vor allem Alleinlebende, in ihrer Situation im Lockdown wiedererkennen:
    Herr Jesus Christus,
    du warst arm und elend, gefangen und verlassen wie ich.
    Du kennst alle Not der Menschen,
    du bleibst bei mir, wenn kein Mensch mir beisteht,
    du vergisst mich nicht und suchst mich,
    du willst, dass ich dich erkenne und mich zu wende.
    Herr, ich höre deinen Ruf und folge.
    Hilf mir!

Jetzt aber denkt Dietrich Bonhoeffer an seine Familie und Eberhard Bethge, die gerade zu Hause, beinahe wie in jedem Jahr, den Adventssonntag miteinander feiern: „Wie schön, dass du noch Advent mitfeiern kannst! Ihr werdet jetzt gerade die ersten Lieder zusammen singen. Das Altdorfer´sche Adventsbild (https://de.wikipedia.org/wiki/Albrecht_Altdorfer#/media/Datei:Albrecht_Altdorfer_048a.jpg ) fällt mir ein und dazu der Vers: „Die Krippen glänzt hell und klar, die Nacht gibt ein neu Licht dar, Dunkel muss nicht kommen drein, der Glaub bleibt immer im Schein.

Viele Menschen finden es langweilig, wenn jedes Jahr zur gleichen Zeit das gleiche stattfindet. Feste können „totgefeiert“ werden und Traditionen zum bloßen Brauchtum ohne jeden Inhalt verkommen. Man feiert, weil man immer so gefeiert hat, aber man weiß nicht mehr warum und wozu.

Die Feiern im Hause Bonhoeffer waren wohl anderer Art. Es gelingt Dietrich Bonhoeffer sich gerade in den schweren Zeiten durch die Erinnerung und Vergegenwärtigung der familiären Feiern zu freuen, zu stärken und ermutigen. Anstatt in Trübsal zu verfallen, weil er nicht dabei sein kann, feiert er in seiner Zelle „einfach“ mit. Er kennt den Ablauf, die Lieder, die Texte, die Rituale aus jahrzehntelanger Familientradition so genau, dass er die adventliche Stimmung von zuhause „gleichzeitig“ in seiner einsamen Zelle einziehen und aufleben lassen kann: „Ihr werdet jetzt gerade die ersten Lieder zusammen singen.

Ich freue mich sehr auf Palmsonntag, die Karwoche und die Osterfeier. Ich hoffe sehr, dass wir diese Festtage miteinander in der Kirche und den Familien begehen können. Ich befürchte jedoch, dass uns die steigenden Inzidenzwerte einen Strich durch die Rechnung machen könnten. Was dann? Wie können wir miteinander verbunden bleiben? Werden wir wieder per zoom (siehe: wwe.seeleyh.de) miteinander Gottesdienst feiern? Wie begehen Sie diese Tage?


Der Verein „Andere Zeiten“ bietet auch für die Passions- und Fastenzeit Materialien an: https://www.anderezeiten.de/aktuell/


Kommentare: 2
  • #2

    Inge Wagner (Freitag, 19 März 2021 12:10)

    Frau Glenk hat mit ihrem letzten Satz im Kommentar ausgedrückt, was mich gerade in den letzten Tagen stark berührt hat.
    Ich hatte in einem langen Telefonat erfahren, dass ein ehemaliger Schüler seinem Leben ein Ende gesetzt hatte und wohl nur ganz wenige von seinen Depressionnen gewusst hatten. Fassungslos steht man da, Worte des Trostes wollen nicht kommen. Aber ich habe den Weg zum dörflichen Friedhof, den wir erst nach der Trauerfeier kurz betreten konnten, bewusst angesteuert, um der Familie zu signalisieren, dass wir da sind und sie wortlos, aber im Gebet begleiten!

  • #1

    Karola Glenk (Mittwoch, 17 März 2021 12:43)

    Mir sind so feste Zeiten wie die Passions- und Fastenzeit sehr wichtig geworden! Ich denke an die Karwoche in meiner ersten Gemeinde! Wir trafen uns jeden morgen um 6.30 Uhr zu einer stillen Andacht und danach zum Frühstück. Ich habe nie mehr so intensiv den Gründonnerstag und Karfreitag erlebt wie in dieser Zeit. Wir wenigen, die wir die Woche miteinander uns durch getragen haben, erlebten miteinander die Osternacht! Wow!
    Ich wünsche mir, dass meine Kirche noch mehr klagen lernt, wie allein jeder Mensch durch diese Zeit geht! Mir würde es langen, wenn ich wüsste, dass es da Menschen gibt, die wie ich die anderen vermissen!
    Gerade habe ich mit einem Arzt aus dem Nordklinikum gesprochen. Er lebt noch in St. Jobst, wo ich auch Pfarrerin war. und er erzählte, dass sie in ihrer Straße jeden Abend kurz vor den Nachrichten vors Haus treten und miteinander reden. Beten heißt für mich, im Gespräch bleiben, natürlich mit dem nötigen Abstand, aber einander wahrnehmen, sich kümmern ...