1. - 5. Juni 2021

Dienstag, 01. Juni 2021

 

Natürlich kam in unserer Familie an Heilig Abend das Christkind, nachdem wir Kinder das vierundzwanzigste Türchen des Adventskalenders geöffnet hatten und an Ostern versteckte der Osterhase das Nest, das wir eifrig suchten. Wie in anderen Familien auch. Die anderen Feste und Feiertage spielten aber keine Rolle. Nicht einmal der Erntedankgottesdienst, der heute gerne von Familien mit Kindern besucht wird.

Vermutlich werde ich im Religionsunterricht der Grundschule mehr davon erfahren haben. Oder auch im Konfirmationskurs, aber daran habe ich keine Erinnerung. Diese „Informationen“ über das Kirchenjahr, in welcher Form ich sie auch erhalten hatte, hinterließen keine bemerkenswerten Spuren. Es blieb beim Familiengottesdienst an Heilig Abend. Ostern war ein Gottesdienstbesuch nicht üblich, ebenso wenig an Karfreitag.

Wie kann man das Kirchenjahr kennenlernen? Natürlich gibt es ein paar Bücher, wenige, meist nicht sehr detailliert, und es gibt das weltweite Netz. Dort finden sich ebenfalls einige Seiten mit mehr oder weniger ausführlichen Informationen. Aber eben „nur“ Informationen, Fakten, Wissenswertes, ja eine Art Grundwissen auf jeden Fall. Das werde ich auch versuchen zu vermitteln. Aber darüber hinaus auch Erfahrungen.

Es hilft eigentlich nur learning by doing: Versuchen nach und nach und Schritt für Schritt herauszufinden, was es bedeuten kann im Rhythmus des Kirchenjahres zu leben; entdecken, dass es Menschen gibt, die das bereits tun und hierin einen Leitfaden für ihr Leben finden; eine Gemeinschaft finden, die miteinander unterwegs ist auf dem Weg zu einem erfüllten Leben.

Ich selbst habe „das Kirchenjahr“ erst in seinem Zusammenhang entdeckt und angefangen zu verstehen, als ich als Pfarrer für meine erste Gemeinde dieses über die zwei Jahrtausende gewachsene Gewebe erfahrbar werden lassen musste. Als Teil dieser Gemeinschaft entdecke  ich ständig Vertiefendes über mein Leben und meinen Glauben.

 

 

Mittwoch, 02. Juni 2021

Wer sich mit dem Kirchenjahr beschäftigt, wird bald entdecken, dass die Grundstruktur fest im jüdischen Jahreskreis verankert ist. Es wird deutlich: Jesus lebte als Jude in den Traditionen seines Volkes. Die Kenntnis dieser Traditionen erleichtert das Verständnis vieler christlicher Feste.

Jüdische und christliche Traditionen wiederrum spielten eine entscheidende Rolle für das Entstehen des muslimischen Glaubens. Ein bewusstes Folgen der Spuren des Kirchenjahres öffnet die Augen für die Zusammenhänge der drei monotheistischen Religionen und führt direkt ins interreligiöse Gespräch.

Nicht zuletzt entdecken wir die weltweite Vielfalt den christlichen Glauben im Alltag Gestalt und Ausdruck zu geben. Die Ökumene – der christliche Weltkreis – wird unser Bezugsraum. Die zentralen Feste zeigen die Verbundenheit der christlichen Kirchen im Bekenntnis zu Christus, aber auch ihre Verschiedenheit in der Ausgestaltung. Dazu kommen noch viele regionale und lokale Besonderheiten.

Inzwischen erkennen wir – in der Mehrheit - diese Vielfalt als eine Bereicherung. Wir erfahren die anderen Traditionen nicht mehr als „etwas Fremdes“ und Trennendes, sondern als Teil eines Ganzen.

Ich habe als Kind in der Grundschule nicht verstanden, warum es „Evangelische“ und „Katholische“ gibt. Niemand hat uns damals – Ende der sechziger Jahre - über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten vorurteilsfrei aufgeklärt. Erst als junger Erwachsener habe ich zum ersten Mal in einer katholischen Kirche am Gottesdienst teilgenommen.

Richtig die Augen geöffnet für diesen gemeinsamen Schatz der Kirchen hat mir erst der Pfarrdienst in einem romanischen Münster eines ehemals benediktinischen Klosters, in dem ab der Reformationszeit 1525 „lutherische“ Gottesdienste gefeiert wurden.


Fronleichnam, 03. Juni 2021

Eine der drei Schlagzeilen oben auf der ersten Seite der heutigen Tageszeitung: Fonleichnam wieder fast ohne Prozessionen. Auf Seite 13 folgt dann ein kurzer Bericht aus den Diözesen Bamberg und Eichstätt.

Nach meiner Erinnerung war Fronleichnam in Bayern in meiner Kindheit ein regionaler Feiertag für Gegenden mit überwiegend katholischer Bevölkerung. In Nürnberg, das damals noch deutlich evangelisch geprägt gewesen ist, war an diesem Tag ein normaler Arbeitstag. Die Innenstadt mit den Einkaufsstraßen waren aber überfüllt mit Menschen aus katholischen Gegenden,  die diesen Tag nutzen wollten, um in „aller Ruhe“ einkaufen gehen zu können. Man darf nicht vergessen: Es gab noch die Sechstagewoche und samstags schlossen alle Läden um die Mittagszeit! Die Gelegenheit war also günstig und verlockend. An Fronleichnamsprozessionen in Nürnberg kann ich mich nicht erinnern. Gab es überhaupt welche?

Die erste Fronleichnamsprozession erlebte ich in Kelheim. Schon Tage vorher wurden kleine Bühnen mit den Altären errichtet. Die Vorfreude und Anspannung waren deutlich spürbar. Das ´Wetter wurde sorgfältig beobachtet. Gibt es Regen oder bleibt es wenigstens trocken? Am Abend zuvor dann ein erster Höhepunkt für mich. Ich gehe durch die Straßen und beobachte wie an den einzelnen Stationen die prachtvollen Blumenteppiche ausgelegt werden! Wie sich das Gesicht und die Stimmung des Ortes verändert! Alles steht im Bann des morgigen Festes.

Dann die Prozession durch die Straßen mit den Andachten an den jeweiligen Stationen. Eine Bläsergruppe spielt, die Menschen singen und beten, ziehen hinter Monstranz her zur Kirche, wo ein festlicher Gottesdienst gefeiert wird.

Fronleichnam gilt nicht in allen Ländern als gesetzlicher Feiertag. Auch außerhalb Europas ist das Fest auch in katholischen Ländern nicht überall bekannt, wie ich erstaunt auf einer Reise durch Honduras feststellen musste. In den orthodoxen Kirchen wird es auch nicht gefeiert.

 

 

Freitag, 04. Juni 2021

Der evangelische Namenkalender konnte sich nie durchsetzen. Ihn kennt außer den „Profis“ wohl kaum ein Gemeindeglied. Er wurde in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von der Evangelischen Michaelsbruderschaft entworfen, aber erst 1969 vom Rat der Evangelischen Kirchen offiziell freigegeben.

Er sollte ein evangelisches Pendant zum katholischen Heiligenkalender werden. Inzwischen ist er deutlicher ökumenisch ausgerichtet und enthält nicht mehr nur die Gedenktage vorreformatorischer und protestantischer Persönlichkeiten.

Bekannter und vollständiger (und kostenlos) ist das Ökumenische Heiligenlexikon, ein „Kind des world wide web“. Es nennt nicht nur die entlegensten und unbekanntesten Heiligen, sondern kann zu sehr vielen wenigstens eine kurze Biographie bieten. Man muss sich allerdings erst damit vertraut machen, sonst fühlt man sich durch die Unmenge der Namen schnell überfordert. Ein „Einstieg“ kann aber auch leicht zum Zappen in der abenteuerlichen (und manchmal absonderlichen) Welt der Heiligen verführen.

Ich orientiere mich an dem monatlichen erscheinenden kleinen, ökumenisch ausgerichteten Büchlein „Te Deum“, in dem eine vernünftige Auswahl aus dem evangelischen und katholischen Kalender getroffen wird. Meistens wird eine/r der „Tagesheiligen“ mit einem kleinen Text vorgestellt.

Der evangelische Namenkalender will natürlich nicht zur Heiligenverehrung anleiten, sondern Menschen im Gedächtnis bewahren, die uns Heutigen als Vorbilder im Glauben dienen könnten. Die Art und Weise, wie sie als Christen ihr Leben (trotz allen Widrigkeiten) zu gestalten versuchten, könnte uns anregen, über unser eigenes „Christsein“ nachzudenken.  
                           

 

Samstag, 05. Juni 2021

Aus der heutigen Liste sticht einer der Namen besonders hervor. Er ist auch im evangelischen Namenkalender als des Erinnerns wert genannt:
Bonifaz oder Bonifatius.

Wer von ihm nichts weiß, der kennt wenigstens die Geschichte von der Fällung der dem Gott Donar geweihten Eiche, an deren Stelle heute vielleicht der Dom von Fritzlar steht. Oder seine Ermordung, als er, hochbetagt, noch einmal zur Mission der Friesen aufgebrochen war. Eben dieser 5. Juni 754 führt zu seinem Gedenktag.

Bonifaz, der aus einer angelsächsischen Familie im Südwesten Englands stammte, war eine ungeheuer tatkräftige und vielfältige Persönlichkeit. Es lohnt sich seine Biographie genauer anzusehen. Durch die „Hintertür“ eines Heiligenlebens eröffnet sich eine spannende Perspektive auf eine wichtige Phase der europäischen Geschichte. Die Beschäftigung mit seinen „Methoden“ der Verbreitung und Befestigung des christlichen Glaubens wirft allerdings auch die Frage auf, ob der Zweck tatsächlich die Mittel heiligt. Den Bonifaz und die Auswirkungen seines „Tatendranges“ auf unsere Gegenwart sollte man kennen!

Am Grab des Apostels der Deutschen (so sein Titel seit dem 16.Jahrhundert) versammeln sich seit 1867 die katholischen deutschen Bischöfe zu ihrer Herbstkonferenz.

Die Kirche einer katholischen Nachbargemeinde ist dem Bonifaz geweiht. Inwiefern ist der Name Programm? Können sich Menschen aus der Gemeinde mit ihrem „Patron“ identifizieren? Warum habe ich noch niemanden aus dieser Gemeinde danach gefragt?


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