3. - 9. September 2021

Freitag, 3. September 2021

Berühmt ist Papst Gregor der Große (540-604) für „seine“ sogenannten gregorianischen Choräle. Moderne Musikwissenschaftler sind zu der Überzeugung gekommen, dass Gregor keinesfalls der Komponist gewesen sein kann. Er hat jedoch maßgeblich die Form des Messgottesdienstes geprägt.

Zur Frage der Entstehung dieser berühmten liturgischen Stücke wurden mehrere Theorien entwickelt, die in der Mehrheit Rom als Ursprungsort annehmen, aber einen längeren Zeitraum der Entwicklung zwischen dem 4. und 8. Jahrhundert veranschlagen. Übrigens gehen einige der Psalmgesänge aus dem Evangelischen Gesangbuch auf diese Zeit zurück, wie auch der evangelisch-lutherische Gottesdienst weiterhin dem Grundschema der Messe folgt.

Papst Gregor kann als eine der Schlüsselfiguren der Kirchengeschichte betrachtet werden, vor allem für die weitere Herausbildung der zentralen Rolle des (starken) Papsttums. Er nannte sich „Diener der Diener“ und schrieb den Begriff des Papstes als Amtsbezeichnung fest.

In den damaligen Krisen- und Kriegszeiten konnte er die römische Kirche als Faktor der Stabilität und Kontinuität etablieren. Er vermittelte erfolgreich die Friedensverhandlungen mit den Langobarden und bekehrte den germanischen Stamm zum Christentum. Man würde ihn heute als einen Krisenmanager bezeichnen. Seine besondere Fürsorge galt den Armen der Stadt, deren Lebensmittelversorgung er auch in schwierigen Zeiten sicherzustellen wusste.

In seiner Lebensbeschreibung des Heiligen Benedikt klagt er über die Belastung durch sein Amt und die vielen verschiedenen Aufgaben, die er sich verpflichtet sieht wahrzunehmen. Schmerzlich vermisst er die Ordnung seines ehemaligen Mönchslebens und den Verlust der Stille und des inneren Friedens. Die Biographie des Heiligen Benedikt im zweiten Buch der Dialoge lässt sich auch heute noch anregend lesen.

Gregor der Große: Vita Benedicti / Das Leben und die Wunder des verehrungswürdigen Abtes Benedikt (Reclam Verlag) 

 

 

Samstag, 4. September 2021

Albert Schweitzer ist der heutige „Tagesheilige“. Kann man den „Urwalddoktor“, auf den ihn das Klischee reduziert hat, als einen Heiligen bezeichnen? Der Religionsunterricht in der sechsten Klasse, so meine ich mich zu erinnern, hat ihn durchaus zu einer Art übermenschlichen Gestalt der Missionsgeschichte stilisiert. Ich fand diese Darstellung damals abstoßend!

Im Studium stand dann der Doktor der Theologie im Vordergrund, der bahnbrechende Bücher verfasst hat, vor allem die „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“, die zu den Büchern gehörte, die man gelesen haben musste oder sollte oder zumindest eine verlässliche Zusammenfassung.

Ich habe gerne seine autobiographischen Texte gelesen, die Anekdoten aus seiner Kindheit und Jugend im Elsass, kleine Meisterstücke, beinahe Parabeln über das menschliche Wesen. Berührt hat mich vor allem seine Sensibilität gegenüber den Tieren und der Natur. Der Gedanke der Ehrfurcht vor dem Leben („Ich bin Leben inmitten von Leben, das leben will“) hat mich sogleich beeindruckt und überzeugt.

Später, als ich schon in Amt und Würden war, habe ich des Öfteren seine Predigten, vorwiegend aus seinen früheren Jahren, richtiggehend studiert. Eine ganz andere Art zu predigen, als wir das heute tun. Auf eine eigenartige Weise sachlich und leidenschaftlich und auch heute noch anregend und mit Gewinn zu lesen. Ein Phrasendrescher ist Albert Schweitzer nie gewesen.

Der Albert Schweitzer, der gegen die Atomkraft und die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik gestritten hat, ist weniger bekannt und wurde dafür auch heftig angegriffen und angefeindet. Dennoch erhielt er 1951 als zweiter Preisträger den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.

Später wurde seine ärztliche Arbeit in Lambarene stark kritisiert und Albert Schweitzer als „Meister der Selbstinszenierung“ bezeichnet. Für mich bleibt er einer der anregendsten und unkonventionellsten Theologen.  

 

 

Sonntag, 5. September 2021

Das ökumenische Heiligenlexikon stellt heute die Nonne, Dichterin und Mystikerin Roswitha (Hrotsvit) von Gandersheim vor. Über ihr Leben gibt es, wie bei vielen mittelalterlichen Gestalten, aber vor allem Frauen, wenig Gesichertes zu berichten. Sie wurde um 935 geboren und trat vermutlich als junges Mädchen in das Kloster Gandersheim ein. Man nimmt an, dass sie nach 973 verstorben ist.

Ihre lateinisch verfassten Werke, die ihre herausragende Bildung belegen, wurden von dem berühmten Humanisten Konrad Celtis „wiederentdeckt“ und 1501 in Nürnberg mit Holzstichen aus der Werkstatt Albrecht Dürers neu veröffentlicht.

Roswitha von Gandersheim verfasste ein Buch mit Heiligenlegenden, eins mit christlichen Dramen und ein drittes zur Geschichte der Ottonen sowie zur Geschichte des Stiftes Gandersheim.

So charakterisiert das Heiligenlexikon die Legenden: „Sechs Dramen über Gestalten des Glaubens, darunter eines über Abraham, waren die ersten Dramen des Mittelalters in Deutschland; sie thematisieren den Sieg christlicher Frauentugenden über heidnische Lasterhaftigkeit und erzählen von starken Frauenpersönlichkeiten.“
Und zu den Dramen: „Diesen eigenwillig gestalteten Stücken verleiht die ausdrucksstarke Sprache und die überraschend differenzierte Psychologie bis heute Aktualität.“

Die Nonne gilt als die erste Schriftstellerin Deutschlands. Dementsprechend verleiht die Stadt Gandersheim den Roswitha-Preis an Schriftstellerinnen. Erste Preisträgerin war 1973 Marie-Luise Kaschnitz, die jüngsten drei: Terézia Mora (2018), Monika Rinck (2019) und Ulrike Almut Sandig (2020).

Ihre Büste repräsentiert in der Walhalla bei Regensburg eine der dort zwölf aufgenommenen Frauen.


Montag, 6. September 2021

In die Egidienkirche in Nürnberg komme ich selten. Sie liegt nicht auf den Wegen, die mich normalerweise durch die Stadt führen. Als einzige Barockkirche in Nürnberg fällt sie ein bisschen aus dem Rahmen des mittelalterlichen Stadtkerns. Die ursprüngliche romanische Kirche wurde bereits im 12. Jahrhundert errichtet, vermutlich von iroschottischen Bauleuten und Mönchen aus dem Regensburger Schottenkloster. „Reste“ des romanischen Baus haben sich noch erhalten. Doch noch nie habe ich mich gefragt, wer dieser namensgebende Ägidius gewesen ist.

Jetzt muss ich allerdings feststellen, dass ich mich im Datum geirrt habe. Im Ökumenischen Heiligenlexikon habe ich Ägidius unter dem Tag gefunden, sein Gedenktag wäre jedoch schon der 1. September gewesen. Egal, ich will wissen, wer Ägidius gewesen ist.

Über Ägidius, der seit dem 9. Jahrhundert als Heiliger verehrt wird, kursieren mehrere Legenden. Wikipedia fasst kurz das biographische Grundgerüst zusammen: „Ägidius wurde vermutlich um 640 als Sohn einer noblen Athener Familie geboren. Er verließ seine griechische Heimat und lebte jahrelang in der Diözese von Nîmes als Einsiedler in einer Höhle an der Mündung der Rhone in das Mittelmeer.“

Eine Legende erzählt, wie eine Hirschkuh den Einsiedler mit ihrer Milch ernährte. Als der Gotenkönig Wamba diese Hirschkuh auf der Jagd verfolge, stellte sich Ägidius schützend vor sie und wurde von dem Pfeil getroffen. Der „betroffene“ Gotenkönig ließ zur Vergebung ein Kloster gründen, dem Ägidius vorstehen sollte: St. Gilles

In der Abteikirche von St. Gilles in der Camargue befindet sich sein Grab. Die beeindruckende Kirche war einst eines der vier großen Wallfahrtsziele der europäischen Christenheit. Sie liegt auf der Via Tolosana auf einer der Strecken nach Santiago de Compostella. Da muss ich zugeben: Again what learned! (siehe: Fränglisch mit Loddar)

Ägidius ist auch einer der vierzehn Nothelfer.

 


Dienstag, 7. September 2021

Auch heute beginnen wir wieder in Nürnberg. Es steht der Ratsherr Lazarus Spengler im Mittelpunkt. Er hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich „die“ Reformation in Nürnberg durchgesetzt hat. Er war der Sohn eines Nürnberger Ratsschreibers und trat nach dem Tod seines Vaters 1496 selbst in die Ratskanzlei der Stadt ein. 1507 wurde er zum „vordersten“ Ratsschreiber befördert und war ab 1516 selbst Ratsherr im „Größeren Rat“. Ein einflussreicher Mann!

Der Beichtvater und spirituelle Begleiter Martin Luthers, Johann Staupitz, wirkte auch im Nürnberger Raum. Er gründete hier 1517 einen Gesprächskreis, sodalitas Staupitziana genannt, in dem sich reformorientierte und humanistisch gesinnte Bürger trafen, wie z.B. Wenzeslaus Linck, Willibald Pirckheimer, Albrecht Dürer und noch einige andere, wie auch Lazarus Spengler. Der Kreis wurde dann übrigens in sodalitas Martiniana umbenannt.

Lazarus Spengler öffnete sich schon bald den Gedanken Martin Luthers, die er in eigenen Schriften „popularisierte“, also „unters Volk brachte“. Er verfasste außerdem Kirchenlieder. Eine Gattung, die damals fast Volksliedstatus hatte. Man konnte damit richtige Hits landen! Seine Lieder haben es allerdings nicht bis ins heutige evangelische Gesangbuch geschafft.

1521 konnte er Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms persönlich kennenlernen. Eine Begegnung, die ihn offenbar beeindruckte und in seinem Verhalten bestärkte. Es muss ein geschickter Diplomat gewesen sein, der es verstand, ausgleichend zu wirken und auch schwierige Menschen wie den Prediger Andreas Osiander an der Lorenzkirche zu halten und zu schützen.

Als sich in Nürnberg 1525 die Reformation offiziell durchsetzte, konnte er Philipp Melanchton gewinnen, in Nürnberg das erste Gymnasium einzurichten, das Grundmodell eines humanistischen Gymnasiums, das die nächsten Jahrhunderte die „höhere“ Bildung in Deutschland prägen sollte. Das Wirken Lazarus Spenglers für die Reformation in Franken kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden!
 


Mittwoch, 8. September 2021

Seit gestern wird in den jüdischen Gemeinden Rosch ha-Schana, das Neujahrsfest gefeiert. Damit beginnen die zehn Bußtage, die in den Jom Kippur, den Versöhnungstag münden. Das Neujahrsfest wird auch als das Tag des Schofarblasens bezeichnet. Das Schofar ist ein Instrument, das aus einem Widderhorn hergestellt wird.

„Rosch ha-Schana fällt nach dem jüdischen Kalender auf den 1. Tischri, der nach dem gregorianischen Kalender in den September oder in die erste Hälfte des Oktobers fällt. Das genaue Datum im gregorianischen Kalender wechselt von Jahr zu Jahr, weil der jüdische Kalender mit zwölf Mondmonaten von 29 bis 30 Tagen rechnet (Synodischer Monat 29,53 Tage). Um die 354 oder 355 Tage mit dem Sonnenjahr in Einklang zu bringen, wird etwa alle drei Jahre ein ganzer Schaltmonat eingefügt.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana#Liturgie_und_Brauchtum)

Susanna Galley: „Am Abend von Rosch Ha-Schana, nach dem Besuch der Synagoge werden die traditionellen Neujahrsgrüße ausgetauscht: „Shana tova“ („Ein gutes Jahr“) oder: „Möget ihr zu einem guten Jahr eingeschrieben und besiegelt sein – auf der Stelle, zum guten Leben und zum Frieden!“ Die häusliche Festtafel wird von Honig und Äpfeln dominiert. Anstelle von Salz verwendet man Honig zum Würzen der Challot (Weißbrote): für ein neues Jahr in Süßigkeit. Im Anschluss an das Brotessen taucht man Apfelstücke in den Honig und spricht den Segen über die Baumfrucht.“

Ich zitiere noch einmal Susanna Galley: „Im Unterschied zu dem, was die insbesondere seit Luther übliche Kennzeichnung des Judentums als „Gesetzesreligion“ suggeriert, ist das Bewußtsein für die Notwendigkeit von Buße und steter Umkehr zu Gott im jüdischen Denken sehr ausgeprägt. Weit davon entfernt, sich der Erfüllung der Tora zu „rühmen“ (vgl Rö 2,17ff), zählt sich noch der angesehenste Gelehrte zu den „Mittelmäßigen“ und vertraut auf Gottes Beistand bei der Umkehr zu ihm.“

Zum Weiterlesen: Susanne Galley, Das jüdische Jahr (Beck Verlag)

 


Donnerstag, 9. September 2021

Heute übernehme ich die Kurzbiographie vollständig aus dem aktuellen „Te Deum“-Heft. (Klosterverlag Maria Laach ISSN 1614-4910 / auch für Smartphone erhältlich)

„Aleksandr Wladimirowitsch Men (1935-1990) war russisch-orthodoxer Erzpriester in Russland. Der Humanist und Brückenbauer zwischen den Kulturen und Weltreligionen hat zehn Bücher veröffentlicht; sie mussten im Ausland gedruckt werden und waren vor der Wende in Russland verboten. Er lebte dreißig Jahre lang als Priester auf dem Land unter ständiger Beobachtung des KGB, mit Hausdurchsuchungen und Vorladungen schikaniert. 1990 wurde Aleksandr Men auf dem Weg zum Sonntagsgottesdienst in seiner Pfarrkirche ermordet. Der Mord ist bis heute nicht aufgeklärt, doch ist bekannt, dass er den Nationalisten und Antisemiten im Staat verhasst war. Sie beschuldigten ihn der „inneren Zersetzung“ der russisch-orthodoxen Kirche, weil er die gemeinsamen Wurzeln von Christentum und Judentum betonte und die gemeinsamen Werte der unterschiedlichen Religionen hervorhob. Für viele Zeitgenossen, die dem Sowjetsystem kritisch gegenüberstanden, wurde er zum Hoffnungsträge und spirituellen Pendant zu dem Bürgerrechtler Andrej Sacharow.“

Von Alexander Men ist, soweit ich feststellen konnte, nur ein Buch mit dem Titel „Der Menschensohn“ auf Deutsch erschienen. Es sind nur noch wenige Exemplare antiquarisch erhältlich. Über den Inhalt konnte ich nur Folgendes finden, offensichtlich der Klappentext: „Auf die Frage nach Jesus gibt das Buch des russisch-orthodoxen Erzpriesters Alexander Men eine Fülle von Antworten. In vier Abschnitten schildert der Autor - gestützt auf die Evangelien sowie andere historische und literarische Quellen - das Leben Jesu. Wir erleben Alexander Men als überzeugenden Prediger des Wortes Gottes wie als Priester und Seelsorger, der nie die Fragen und Sorgen der Menschen aus dem Blick verliert. Mit dem vorliegenden Band hält der Leser die lang erwartete deutsche Erstausgabe in Händen.“

Weiterführendes auch bei https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Wladimirowitsch_Men


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