Beten in Zeiten der Gefahr (19)

Brief Dietrich Bonhoeffers vom 18. Dezember 1943 an seinen Freund Eberhard Bethge



Die von Dietrich Bonhoeffer ersehnte Gerichtsverhandlung kommt nicht zustande. Er schreibt einen Tag nach dem entfallenen Termin schwer enttäuscht an Eberhard Bethge: „Ich glaube nicht mehr an meine Freilassung. Nach meiner Auffassung wäre ich beim Termin am 17.12. freigekommen, aber die Juristen wollten den sichereren Weg gehen, und nun werde ich voraussichtlich noch Wochen, wenn nicht Monate hier sitzen. Die letzten Wochen waren psychisch eine schwerere Belastung als alles Vorige. Aber daran ist nun nichts mehr zu ändern, nur dass es schwerer ist, sich in etwas zu fügen, wovon man glaubt, dass es hätte verhindert werden können, als in das Unvermeidliche.

Bisher konnte ich mich fernhalten allzu simple Parallelen zwischen Dietrich Bonhoeffers Inhaftierung und dem gegenwärtigen Lockdown zu ziehen. Es ist natürlich die Absicht meiner Lektüre in den Briefen Dietrich Bonhoeffers eine Art „seelischen Beistand“ zu finden, wie ihn unzählige Leserinnen und Leser in den letzten Jahrzehnten für sich persönlich finden konnten. Aber ich möchte keinesfalls das Schicksal Dietrich Bonhoeffers verharmlosen.

Mit diesen, oben wiedergegebenen, Worten spricht er mir heute jedoch direkt aus der Seele, gibt er meiner Enttäuschung über den momentanen Verlauf der Pandemie, den Umgang der Verantwortlichen, dem leichtsinnigen Verhalten vieler Menschen, seinen präzisen Ausdruck.

Ich glaube nicht mehr an ein baldiges Sinken der Inzidenzwerte. Wären die Lockerungen nicht vorschnell vorgenommen worden, hätte die Ungeduld nicht gesiegt, … so werden wir noch lange Einschränkungen akzeptieren müssen, wenn nicht noch viel mehr Menschenleben gefährdet werden sollen. Auch mir fiel es in den letzten Wochen schwerer den Alltag mit seinen belastenden Einschränkungen einzuhalten. Aber daran ist nun nichts mehr zu ändern, nur dass es schwerer ist, sich in etwas zu fügen, wovon man glaubt, dass es hätte verhindert werden können, als in das Unvermeidliche. So ärgere, seufze und klage ich mit Dietrich Bonhoeffers Worten und kann nur mit Mühe die Haltung der Geduld, des Verständnisses und der Rücksichtnahme aufrechtherhalten.

Im Gegensatz zu mir, der gerne einmal jammern und hadern möchte, ruft sich Dietrich Bonhoeffer gleich zur Ordnung und denkt an seinen Freund, auf den ein baldiger Fronteinsatz wartet: „Aber wenn Tatsachen geschaffen sind, so oder so, muss man sich eben zurechtfinden. Ich denke heute vor allem daran, dass auch Du bald Tatsachen gegenüberstehen wirst, die für Dich sehr hart sein werden, wohl noch härter als für mich. Ich meine nun, dass man zunächst alles versuchen soll, um diese Tatsachen noch abzuändern. Ist alles versucht und vergeblich, dann ist das Tragen viel leichter. Es ist zwar nicht alles, was geschieht, einfach „Gottes Wille“. Aber es geschieht schließlich doch nichts „ohne Gottes Willen“ (Mt 10,29) d.h. es gibt durch jedes Ereignis, und sei es noch so ungöttlich, hindurch einen Zugang zu Gott.

Dietrich Bonhoeffer fügt sich nicht so schnell in das scheinbar Unvermeidliche, auch wenn die letzten Sätze die Resignation in Gottes vermeintlichen Willen nahelegen könnten.

Im Gegensatz zu vielen lutherischen Theologen und Pfarrern hat Dietrich Bonhoeffer in der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler nicht das „Walten der Vorsehung Gottes“ erkennen können. Bereits wenige Tage später, äußerte sich Dietrich Bonhoeffer in einer Radioansprache kritisch über den „Wandel des Führerbegriffs in der jungen Generation“.

Dietrich Bonhoeffer war, meines Wissens, der erste und einer der sehr wenigen Verantwortlichen in den lutherischen Kirchen die gegen den „Arierparagraphen“ öffentlich Stellung bezogen hat. In diesem Artikel findet sich der später berühmt gewordene Satz: „Die dritte Möglichkeit (kirchlichen Handels; T.B.) besteht darin, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen fallen.“

Entsprechend dieser Einsicht hat Dietrich Bonhoeffer in den folgenden Jahren gehandelt und sich nach schweren inneren Ringen für den aktiven Widerstand gegen das Hitlerregime entschieden. Er hat diesen Weg als Gottes Willen für sein Leben erkannt. Dieser Weg hat ihn in das Gefängnis geführt. Dietrich Bonhoeffer war gewillt die Haftanstalt durch den legalen Rechtsweg wieder verlassen zu können. Zu seinem großen Ärger hat ihn der Anwalt mehrfach in Stich gelassen.

Dietrich Bonhoeffer „schickt“ sich nur schwer in das jetzt Unvermeidliche: Die Freilassung vor Weihnachten ist nicht mehr möglich. Daran kann er jetzt nichts ändern. Deswegen hat Dietrich Bonhoeffer (sich) nicht aufgeben. In dem weiteren Schreiben an Eberhard Bethge ringt er um, sucht er, nach diesen „Zugang zu Gott“, auch in diesem „ungöttlichen“ Ereignis der erneuten Verzögerung seines Prozesses.

Hier an meinem Schreibtisch ringe ich jetzt mit den Tatsachen des verlängerten und verschärften Lockdowns. Ermutigt durch Dietrich Bonhoeffers Ringen will ich nicht resignieren, das Handtuch werfen oder die Hände in den Schoß legen. Tatsächlich erfahre ich täglich von einer großen Anzahl an Initiativen, die es verstehen, kreativ mit dieser Begrenzung des öffentlichen und unseres gemeinschaftlichen Lebens umzugehen. Es gibt viele Menschen, die (sich) nicht aufgeben. Die sich zusammenschließen. Die neue Lebensmöglichkeiten finden!

Könnte in diesen Initiativen nicht ein „Zugang zu Gott“ zu entdecken sein? Findet sich in Gott nicht das Urbild des „Kreativen“, des Schöpferischen? Wirkt denn Gottes Geist (spiritus) in unseren Gemeinden nicht mehr „inspirierend“?


Kommentare: 2
  • #2

    Karola Glenk (Donnerstag, 25 März 2021 18:33)

    Für mich war die Zeit von Dietrich Bonhoeffer doch schwerer! Auch wenn der kommende Lockdown mich trifft! Aber ich fühle mich durch die Schnelltests, die ich von meinen Kindern bekommen habe, schon freier. Ich war jetzt 3mal in der Hausaufgabenbetreuung in der Grundschule in St. Johannis! Danach habe ich mich selbst getestet! Eine Riesenverbesserung! Und wenn ich sehe, wie diese Kinder in der Notbetreuung sein müssen, ein Riesenanteil an ausländischen Kindern, so bin ich froh, dass ich nur zur Betreuung dorthin gehe! Diese Kinder würden das vielleicht auch wie Dietrich Bonhoeffer schreiben ...
    Also insgesamt sehe ich unsere Pandemielage auch sehr negativ, ich weiß leider auch nicht, wann wir sie überstanden haben. Ob hier Gebete helfen ...?
    Ich denke, Dietrich Bonhoeffer hat mit Sicherheit gebetet, aber ob er wirklich darauf vertraut hat ...?
    Der spiritus inspirierend? Das sieht für mich fraglich aus!

  • #1

    S- Osterkamp (Dienstag, 23 März 2021 14:49)

    Mein erster Gedanke ist dieses JETZT Wieviele Menschen müssen sich mit schlimmen Tatsachen abfinden die jetzt aktuell sind und wielange kann jetzt dauern? Was mich bei Bonhoeffer so berührt; er hat Freunde denen er sich so mitteilen kann, wie er sich gerade fühlt. Gott ist einer davon und da bin ich wieder beim Beten angelangt. Tröstlich auch, Bonhoeffer hat sich nicht aufgegeben! Wie werde ich mich entscheiden?