Beten in Zeiten der Gefahr (21)

Briefe Dietrich Bonhoeffers um Weihnachten 1943 an seinen Freund Eberhard Bethge und die Eltern



Inzwischen hat die Karwoche begonnen. Für mich fast unmerklich. Die Vorbereitungen für den Gottesdienst in der Erlöserkirche, den ich dort halten sollte, sind bedauerlicherweise entfallen. Wegen der hohen Inzidenzzahlen in Nürnberg haben die Kirchenvorstände unserer beiden Gemeinden beschlossen die Gottesdienste weiterhin über Zoom zu feiern. Nur zu Karfreitag und Ostersonntag wird es Andachten in den Kirchen geben.

Wir sehen uns über den Bildschirm. Wir bleiben in Verbindung. Das ist gut. Die Gottesdienste sind „schön“, auch „tröstlich“. Doch die Stimmung teilt sich nur verhalten mit. So empfinde ich es. Mir fehlt dieser deutliche „Einschnitt“, der Einzug Jesu in Jerusalem, das Hosianna, die Fröhlichkeit, die Hoffnung, die Gemeinschaft!

Jeder Gottesdienst hat seinen eigenen Charakter, der sich auf die Anwesenden überträgt und jedes Mal eine eigene Art von Gemeinschaft stiftet. An Palmsonntag ziehen wir, vielleicht bin ich da naiv, gemeinsam hinauf nach Jerusalem, die „hochgebaute Stadt (EG 150 / GL 553)“. Für mich ein erhebendes Gefühl. Es hat etwas „Aufbauendes“. Ich fühle mich in Gang gesetzt. Ich kann mich auf den Weg machen, auch wenn ich schon weiß, dass dieser Weg ein Leidensweg werden wird. Ich fühle mich gestärkt.

Ich sitze am frühen Abend in der Erlöserkirche. Ich lasse die Erinnerungen an vergangene Palmsonntage an mir vorüberziehen. Der Lärm der stark befahrenen Straße tönt herein. Viel Lastverkehr, manchmal zittern die Fensterscheiben, knarzt das Gebälk. Die Karwoche, eine Woche, wie jede andere, so hört es sich an. Die Einschränkungen des Lockdowns machen sich akustisch kaum bemerkbar. Das Getöse erinnert mich an einen Karfreitag vor vielen Jahren in Paris. Ich sollte den Gottesdienst halten. Schon nach dem Aufstehen war ich irritiert. Dieser Karfreitag klang anders.

An Karfreitag beeindruckte mich schon als Kind diese eigene Stille, die anders ist als z.B. ein normaler Sonntag. Ich kann meinen Eindruck nicht beschreiben. Ich weiß auch nicht, ob andere Menschen ein ähnliches Empfinden kennen. Für mich ist es ein Tag der „stiller“ ist als andere Tage, an dem für mich auf eigenartige Weise die Zeit still-steht. Ein zeitloser Tag.

Zurück nach Paris. Nach einigen Augenblicken wurde mir klar, dass Karfreitag in Frankreich kein gesetzlicher Feiertag ist. Er ist ein ganz normaler Arbeitstag und klingt wie alle anderen Arbeitstage: Verkehr, Gehetze, Staus, Gehupe, Gedränge, Unruhe. Wer an diesem Tag in die Kirche kommt, muss Urlaub nehmen.

So machte ich mich auf den Weg zur Kirche die in einem anderen Stadtteil lag. Zunächst war ich traurig, dass ich meine gewohnte „Karfreitagsstimmung“ nicht finden konnte. Die Kirche wurde von demselben Lärm umtost wie die Erlöserkirche.

Doch dann wurde ich plötzlich ganz ruhig. Ja, dass ist es!  Wir, eine kleine Schar französischer Protestanten, feiern jetzt Gottesdienst im Lärm und in der Unrast dieser Welt. Zwanzig Menschen in einer 10-Millionenstadt. Wir hören das Evangelium, wir singen, nehmen die Sirene des Krankenwagens mit auf in unser Gebet. Und am Ende gehen wir mit den Segen wieder hinaus, gehen unseren Weg durch dieses unruhige Getriebe.

Ich gestehe, so fröhlich und zuversichtlich habe ich mich selten auf den Heimweg gemacht. In der Erinnerung an diesen Karfreitag sitze ich gerne in der lärmumtosten Erlöserkirche. Tatsächlich fühle ich mich dann erlöst, losgelöst und befreit von dieser Hetze und dem Gedrängel unseres Alltags.

Dietrich Bonhoeffer feiert Weihnachten wider Willen in „seiner“ Zelle im Gefängnis Tegel. Mit ihm bereiten sich 800 Gefangene auf diese „Heilige Nacht“ vor: „Am 24.mittags soll hier immer ein rührender alter Mann aus eigenem Antrieb kommen und Weihnachtslieder blasen. Nach der Erfahrung vernünftiger Leute ist aber die Wirkung nur die, dass die Häftlinge das heulende Elend kriegen und dieser Tag nur noch schwerer würde.

In einem anderen Brief bemerkt er, dass sie nun schon die „fünfte Kriegsweihnacht“ feiern würden. Tatsächlich berichten seine Eltern von schweren englischen Angriffen am Morgen des Heilig Abend. Ein „normales“ Weihnachten könnte er auch zuhause nicht feiern.

Dietrich Bonhoeffer feiert Heilig Abend im Lärm des Krieges, in der Gefahr des Todes, in der Einsamkeit seiner Zelle, in der Trennung von allen geliebten Menschen, in der Aufhebung alles Gewohnten.

In seinem Weihnachtsbrief an die Eltern vom 17.12. gibt er sich trotzig-mutig: „Ich müsst nun vor allem nicht denken, dass ich mich durch dieses einsame Weihnachten werde niederschlagen lassen; es wird in die Reihe der verschiedenartigen Weihnachten, die ich in Spanien, in Amerika, in England gefeiert habe, für immer seinen besonderen Platz einnehmen, und ich will in späteren Jahren nicht beschämt, sondern mit einem gewissen Stolz an diesen Tag zurückdenken können. Das ist das einzige, was mir niemand nehmen kann.

Am ersten Feiertag klingt sein Schreiben jedoch gelassen, ruhig, zufrieden: „Weihnachten ist vorüber. Es hat mir ein paar stille, friedliche Stunden gebracht und vieles Vergangene war ganz gegenwärtig. Die Dankbarkeit dafür, dass Ihr und alle Geschwister in den schweren Luftangriffen bewahrt worden seid, und die Zuversicht, Euch in nicht zu ferner Zeit in Freiheit wiederzusehen, war größer als alles Bedrückende. Ich habe mir Eure und Maria´s Kerzen angezündet und die Weihnachtsgeschichte und einige schöne Weihnachtslieder gelesen und vor mich hingesummt, und habe dabei an Euch alle gedacht und gehofft, dass Ihr nach aller Unruhe der vergangenen Wochen doch auch eine friedliche Stunde findet möchtet.


Kommentare: 2
  • #2

    Karola Glenk (Donnerstag, 01 April 2021 16:31)

    Bei diesen Zeilen von Dietrich Bonhoeffer kommen in mir Gedanken hoch, dass Weihnachten und Karwoche doch für mich weit auseinander liegen. Schon lang bleibt mir die Karwoche verborgen. In meiner ersten Gemeinde konnte ich das noch mit ein paar wenigen zelebrieren. Aber schon in meinem weiteren Berufsleben war immer mehr von der Hektik des Alltags zu spüren! Dann war es Karfreitag. Sicher auch hier eher ein stiller Tag. Kirchgang war angesagt. Aber sonst ...
    Karsamstag oder auch Ostersamstag galt es Ostern vorzubereiten. Der Osterstrauß mit seinen bemalten Ostereiern, die Osternester für die Kinder ...
    Aus der Stille in die Hektik - und dann Ostern ...
    Wie wird das in diesem Jahr sein. In meiner neuen Kirchengemeinde gibt es leider keinen Familiengottesdienst. Aber mein Enkel soll doch etwas von Ostern erfahren? In aller Unruhe soll es hell werden, ganz anders als an Weihnachten ...

  • #1

    Inge Wagner (Mittwoch, 31 März 2021 15:52)

    Christliche Hochfeste, die sich seit einem Jahr nicht mehr im gewohnten Rahmen und in der Gemeinschaft feiern lassen, eine Pfarrstellenübernahme, ohne zumindest sonntags der Kerngemeinde begegnen zu können, Grüppchen und Kreise, die einander höchstens telefonisch oder gelegentlich noch auf der Straße kontaktieren ... absurd! Beerdigungen, offene Kirche und das eine oder andere Seelsorgegespräch sind dann die Ausnahmebegegnungen.
    Umso höher schätze ich Ihr Bemühen ein, mit Ihren Gedanken und auch den persönlichsten Empfindungen nicht hinter dem Berg zu halten und uns zu zeigen, dass Sie bei uns angekommen sind. Die ausgewählten, vor so langer Zeit niedergeschriebenen Briefe waren ein überraschend passender Denkanstoß. Danke für das "Behüten" durch das Einbeziehen in Ihren Segen! Auch Ihnen frohe Ostern!